Wir heißen Esther und Lioba. Wir sind 24 beziehungsweise 23 Jahre alt. Wir sind Bezirksvorsitzende, Referentin, AK-Mitglied, e.V.-Vorsitzende, Leiterin. Mitglieder der DPSG. Unsere Ämter sind so vielfältig, wie es in diesem Verband nur möglich ist. Und trotzdem werden wir in den verschiedensten Situationen vor allem als eines gelesen: Als Frauen.
Ja gut, könnte man sagen, wir sind ja auch Frauen und identifizieren uns als solche. Aber wenn wir in Gremien mitarbeiten und Sitzungen leiten, dann kommt es eben auf unsere Fähigkeiten und unser Engagement an und nicht auf das Geschlecht, das uns zugeordnet werden kann.
Seit 1971 dürfen Frauen und Mädchen Mitglieder in der DPSG werden. Ungefähr zur gleichen Zeit durften Frauen unabhängig vom Wunsch ihres Ehemanns arbeiten gehen. Die DPSG war also nah am Zahn der Zeit. Seitdem hat sich viel getan, Mädchen und Frauen sind selbstverständlich Teil fast jeden Stammes. In unseren Satzungen ist festgeschrieben, dass Diözesan- und Bundesvorstände paritätisch besetzt sein müssen. Sogar Kuratin können Frauen werden. Und trotzdem fällt es immer wieder schwer, gerade junge Frauen für diese und andere Ämter und Verantwortungen zu finden. Wie kann das sein?
Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, haben wir einige Situationen mitgebracht, die wir so in unseren Stämmen, Arbeitskreisen und Gremien erlebt haben.
Auf einem Pfadfinderlager ging es darum, dass mehr Holz gehackt werden müsse, um das Lagerfeuer zu beheizen. Als ich ganz selbstverständlich gesagt habe, dass ich das gerne mache und mir die Axt geschnappt habe, hieß es, dass Holzhacken Männersache sei. Erst nach großer Beharrlichkeit meinerseits wurde das Thema auf sich beruhen gelassen und ich ‚durfte‘ Holz hacken.
Klar, die Jungs dürfen Holzhacken und Zelte aufbauen, für die Mädels bleibt dann das Jurtenplanenknüpfen und Gute-Nacht-Geschichten-erzählen. Was wir in dieser klassischen Aufgabenteilung eines jeden Sommerlagers finden, sind Ausformungen stereotypischer Rollenbilder. Und mit denen will sich die DPSG doch eigentlich kritisch auseinandersetzen, oder? Schließlich steht in der Modulbeschreibung für Modul 2b „Geschlechtsbewusste Gruppenarbeit”: „Darüber hinaus müssen wir uns damit auseinandersetzen, welche Erwartungen die Gesellschaft an uns stellt – an uns als Frau oder Mann. Dabei ist es wichtig, dass wir bereit sind, zu reflektieren und zu hinterfragen, wie die verschiedenen äußeren Faktoren, wie also die gesellschaftlichen Erwartungen und auch das eigene Umfeld die eigene Persönlichkeit und das eigene soziale Geschlecht geprägt haben.“
Hinterfragen und reflektieren klingt immer gut, aber wie wäre es denn mit dem bewussten Aufbrechen der Geschlechterrollen? Ferner sollten wir uns fragen, inwiefern wir selbst diese Rollenbilder reproduzieren und weitervermitteln und in welche Stereotype wir die Kinder und Jugendlichen in unseren Gruppen und Stämmen dadurch zwängen. Und natürlich gibt es auch Kinder und Jugendliche, die sich mit ihrem biologischen Geschlecht und den daran geknüpften Erwartungen pudelwohl fühlen – aber man sollte doch zumindest allen die Möglichkeiten bieten, über den vorgezeichneten Tellerrand hinauszuschauen. Und damit können wir schon am ersten Tag des Zeltlagers beginnen.
Wir sitzen mit der Leiter- und Roverrunde im Sommerlager am Lagerfeuer. Ein Leiter kommt in die Jurte, er habe jemanden über den Zeltplatz laufen sehen. Einige männliche Leiter folgen ihm nach draußen. Einer der Rover steht auf und fragt, ob er helfen solle. Die Antwort lautet: Nein, bleib hier und pass auf die Frauen auf. Der darauffolgende Aufschrei und die angeregte Diskussion bleiben ohne Verständnis und Entschuldigung. Auch die Rover und Pfadis argumentieren fleißig mit. Keine Einsicht, nur eine Versteifung auf sexistische Floskeln. Später am Abend kommt eines der Pfadi-Mädchen zu einer der Leiterinnen: Sie habe sich durch die Situation sehr unwohl gefühlt, fühle sich aufgrund dieser Aussage nicht länger wertgeschätzt.
Sexismus ist in der Gesellschaft so tief verankert wie jede andere Diskriminierung auch. Davon kann sich niemand freisprechen, auch Frauen können Sexistinnen sein. Aber ein erster Schritt in die richtige Richtung ist es, mehr Bewusstsein für das Handeln und die Äußerungen anderer, aber ganz besonders für sich selbst und sein eigenes Handeln zu schaffen und sich vielleicht einmal öfter selbst kritisch zu hinterfragen. Spätestens, wenn man darauf angesprochen wird, muss man doch darüber nachdenken, welche Wirkung das eigene Handeln und Sagen auf andere hat. Es ist völlig selbstverständlich, dass man erst lernen muss, welcher Umgang ok und welche Floskeln eben nicht ok sind. Aber diesen Lernprozess muss man aktiv angehen und angehen wollen.
Ein weiterer Punkt, der aus diesem Beispiel hervorgeht, ist der, dass die Lebenswelten und Denkstrukturen unserer Kinder und Jugendlichen mittlerweile meilenweit von dem entfernt sind, was in Teilen unserer Leiterrunden und Gremien gepflegt wird. Wenn sich unsere Kinder und Jugendlichen in unserem Verband aufgrund ihrer Geschlechtsidentität nicht länger wertgeschätzt fühlen, haben wir als Kinder- und Jugendverband einiges falsch gemacht. Da dürfte es helfen, in Gesprächen den 15- und 16-Jährigen zuzuhören, anstatt auf die lange eingeübten und vorurteilsbehafteten Floskeln zu pochen und ein ums andere Mal zu betonen, man sei ganz sicherlich kein Sexist.
Zur Beratung eines Antrags treffen wir uns zu fünft, ich als einzige Frau, die anderen wesentlich älter als ich. Als ich Unverständnis für das Vorgehen äußere, höre ich: Beruhig dich, du musst die Spielregeln erst noch lernen!
Gremien wie Arbeitskreise oder Fördervereine sind noch immer männlich dominierte Räume. Es ist nicht leicht, dort als Frau Eintritt zu erhalten und zu Wort zu kommen. Wenn man das dann geschafft hat, wird man trotzdem noch viel zu oft diskreditiert und in Redebeiträgen unterbrochen, beziehungsweise ignoriert. Oft würde die einfache Frage reichen: Würde ich bei meinem männlichen Gegenüber genauso reagieren und antworten? Wenn nein, dann ist es sexistisch.
Dieses Beispiel offenbart zusätzlich ein weitverbreitetes Phänomen – das Mansplaining. Heißt: Männer fühlen sich – ungeachtet ihrer Kompetenzen in einem bestimmten Bereich – dazu befähigt, Frauen – ungeachtet derer Fähigkeiten in diesem Bereich – zu belehren. Egal wie kompetent und bewandert eine Frau in einem Bereich ist, es wird sich immer ein Mann finden, der sie korrigiert. Das widerspricht jeder Form der Wertschätzung und des Respekts.
Während eines AK Treffens haben wir rege über die Vorgehensweise zu einem Thema diskutiert. Als ich einen Vorschlag geäußert habe, mit dem ein Anwesender offenbar nicht zufrieden war, hieß es: „Ach Mädchen, da muss man ganz anders ran gehen!“
Sich als Frau in einem Gremium als „Mädchen“ bezeichnen lassen zu müssen, ohne dass jemand der anderen Anwesenden etwas dazu sagt, vermittelt nicht nur das Gefühl weniger wertgeschätzt, ernstgenommen oder gar herabgewürdigt zu werden. Es gibt außerdem dem Äußernden das Gefühl, dass diese Art des Umgangs miteinander akzeptiert ist. Dieser Kreislauf muss durchbrochen werden.
Wir brauchen Männer, die sich solidarisieren und sich für die Frauen in ihrem Umfeld stark machen. Die aufstehen und einschreiten. Die ihre Männlichkeit nicht davon abhängig machen, ob sie auf Frauen herunterschauen und sich so bei anderen Männern profilieren können. Und wir brauchen Frauen, die laut werden, wenn ihnen Unrecht getan wird. Die ihre Meinung sagen, auch wenn es schwerfällt und man oft gegen Wände redet. Wir brauchen Frauen, die Verantwortung übernehmen und andere Frauen unterstützen. Die ihr Wissen und ihren Mut an die Jüngeren weitergeben und sie bestärken.
Ganz viele dieser Menschen gibt es schon, wir selbst kennen viele von ihnen. Doch es gibt ebenso viele, die ihr Potential nicht nutzen können, die von anderen beschränkt und klein gehalten werden. Die der vielen dummen Sprüche müde sind.
Die Fragen, die wir uns stellen müssen, sind folgende: Wie wollen wir mit Mädchen und Frauen in unserem Verband umgehen? Wie können wir dafür sorgen, dass sie sich wertgeschätzt und bestätigt fühlen? Wie fördern wir sie so, dass sie für ihre Interessen laut werden und sich dafür in unserem Verband stark machen? Wie befähigen wir sie dazu, Ämter zu besetzen und Verantwortung zu übernehmen?
Feststeht doch: Die DPSG als Verband repräsentiert sich als eine vielfältige und geschlechtergerechte Jugendorganisation. Trotz dieses Anspruchs auf Allgemeingültigkeit, wird der Verband zunächst von Einzelpersonen und deren persönlichen Einstellungen getragen. Aber Vielfalt ist ein Thema von allen für alle. Es geht nicht nur um uns selbst, sondern auch um alle zukünftigen Generationen und darum, uns und ihnen einen Fortschritt zu mehr Geschlechtergerechtigkeit zu ermöglichen.
Schließlich wollen wir uns alle in der DPSG wohlfühlen können.