„Back to the roots“ – so beschrieb Diözesankurat Andreas das think.tent in seinem Grußwort zum Auftakt der Veranstaltung. Doch über die klassischen pfadfinderischen Inhalte wie Lagerküche, Knoten und Bünde oder kreativer SchwarzMat-Aufbau hinaus gab es eben auch Austauschangebote zu geschlechtlicher Vielfalt, Transgeschlechtlichkeit und Sexismus. Weniger pfadfinderische Themen, möchte man meinen. Beim Blick ins Programm des Leitendenkongresses stellen sich schnell die Fragen: Welchen Themen möchten wir uns als DPSG und als Diözesanverband Münster widmen? Was ist heute relevant?
In Klassenraum 8 der Overbergschule in Bocholt haben sich vier junge Leiter*innen versammelt. Vorne am Writeboard steht Felix Schäper. Felix ist psychologischer Berater bei der Trans*Beratung Münster des Trans*-Inter*-Münster e.V. Über eine Stunde lang erzählt er von seinen Erfahrungen als transgeschlechtlicher Mann und beantwortet geduldig alle Fragen der Leitenden. Wie man mit Kindern und Jugendlichen über Transgeschlechtlichkeit sprechen solle, wo es Beratungsangebote gebe, welche Ansprache die richtige sei. Felix hat Zeit mitgebracht, denn ihm ist daran gelegen, dass auch die DPSG als Jugendverband sich mit dem Thema beschäftigt: „Ich denke, es ist total wichtig, weil ihr die Verantwortung für diejenigen, die ihr betreut. Und ihr wollt sie ja alle behandeln, wie es richtig und menschlich ist. Es soll sich jede*r in der Freizeit und bei allem, was ihr macht, wohlfühlen und angenommen fühlen. Und das ist nur möglich, wenn man die Wünsche der Menschen und ihre Identität wahrnimmt und akzeptiert.“ Das Thema Transgeschlechtlichkeit habe in den letzten Jahren enorm an Bedeutung zugenommen, gerade für junge Menschen, erklärt Felix: „Es betrifft immer mehr junge Menschen, auch dadurch dass die Informationen viel besser abrufbar sind und junge Menschen eher jemanden kennenlernen, auf den das auch zutrifft und sich dann denken: Wenn der sich outen kann, dann kann ich das auch. Vielleicht könnt ihr da auch einiges von dem auffangen, was in der Schule nicht gelehrt wird. Da könnt ihr aufklären.“
Laura und Ida haben an dem Workshop teilgenommen. Beide sind sehr berührt von dem, was sie gerade gehört und gelernt haben. Laura glaubt, dass das Thema und das im Workshop vermittelte Wissen auch für ihre pfadfinderische Arbeit wichtig seien. Schließlich nähme die DPSG alle in ihre Gemeinschaft auf, erläutert sie: „Wir sind als Leitende Bezugspersonen für die Kinder und Jugendlichen und sagen, ihr könnt uns vertrauen, wenn euch etwas beschäftigt. Dann sollten wir uns auch entsprechend fortbilden.“ Ida neben ihr nickt zustimmend: „Ich merke in der Jugendarbeit immer stärker, dass sich die Interessen der Jugendlichen in Richtungen verändern, bei denen wir stärker mitgehen und unterstützen müssen, um das Interesse der Jugendlichen zu halten und ihnen eine Möglichkeit zu geben sich auszutauschen. Und diese Möglichkeit müssen wir als DPSG geben, da wir eine Jugendbewegung sind und uns auch mit der Jugend mitbewegen müssen.“ Auf die Frage, ob diese Inhalte für die jungen Frauen wichtiger seien als die typischen Pfadfindertechniken, hat Laura eine klare Antwort parat: „Ich finde das Menschliche tatsächlich wichtiger. Ein Zelt aufzubauen, kann man auch im Lager lernen. Ich finde das Menschliche sollten wir immer ein bisschen mehr beachten.“
Etwas differenzierter äußert sich Gerold, der eine breite Auswahl von Workshops angewählt hat. Am Samstag war er beim Glutbrennen, am Sonntag hat er sich mit dem Thema Sexismus in der DPSG auseinandergesetzt. Was ist ihm wichtiger – diese inhaltliche Auseinandersetzung oder Pfadfindertechniken? „Stumpf gesagt, gibt es der Name Pfadfindertechniken schon her: ein Pfadfinder muss können, was ein Pfadfinder können muss. Man muss die Vorurteile bedienen,“ er lacht: „Ne, ich habe Pfadfinden als Hobby, weil ich tierischen Spaß daran habe, mich auf dem Hike zurechtfinden zu können und da gehören Pfadfindertechniken dazu, die ich als Gruppenkind unbewusst gelernt habe und als Leiter ist es für mich von Vorteil, diese Techniken bewusst anleiten zu können.“ Doch so einfach ist es offenbar doch nicht, schließlich interessiert er sich auch für andere Themen: „Sexismus ist, glaube ich, ein historisches Problem unserer Gesellschaft, das alle Grenzen überschreitet und überall noch da ist. Wir sind jetzt die Generation, die gelernt hat, dass dieses Problem kacke ist und das Problem deshalb angeht. Da dieses Problem alle Bereiche der Gesellschaft betrifft, gehört die DPSG da auch zu und jede*r übt mal bewusst oder unbewusst Sexismus aus und wenn man dem bewusst entgegen wirken kann, ist allen Menschen geholfen, damit sich alle in der Gemeinschaft wohler fühlen.“
„Ohne Jurten keine DPSG und ohne DPSG keine Jurten“
Ein paar Meter weiter ertönt Hämmern. Hier werden Heringe in den Boden geschlagen, da Jurtenplanen geknüpft. Besonders spannend ist jedoch der Blick gen Himmel, denn Florian und Tobi befinden sich in schwindelerregenden fünf Metern Höhe und knoten dort das Jurtendach an die Traverse. Im Workshop „Kreativer Schwarzmat-Aufbau“ dreht sich alles um Jurten – wie praktisch, dass das Europacafé nach dem Regen und Sturm der letzten Nacht ein wenig Unterstützung braucht. Jan, der den Workshop zum Schwarzmat-Aufbau gemeinsam mit Florian teamt, erklärt noch einmal, warum es so wichtig ist, dass Leitende an seinem Workshop teilnehmen: „Weil sonst das Wissen verloren geht. Wie baut man ordentlich eine Jurte auf? Viele Stämme wissen das gar nicht mehr. Aufgrund von Corona wurden zwei Jahre lang keine Zelte mehr aufgebaut. Viele Ältere sind weggegangen und viele Jüngere kommen jetzt nach und haben keinen mehr, an den sie sich halten kann, wie man vernünftig eine Jurte oder eine Kohte aufbaut.“ Tobi, einer der Teilnehmenden, ist begeistert vom Angebot. Als Materialwart ist er in den letzten zwei Jahren kaum zum Zug gekommen ist. Er schwärmt: „Was ich mit Pfadfinden verbinde, ist SchwarzMat. Einer der Gründe, warum ich hierhergekommen bin, ist dass ich Bock darauf hatte, mich mit anderen darüber auszutauschen, weil ich im Stamm ziemlich alleine damit bin.“ Alleine ist er hier auf keinen Fall, den ganzen Tag bieten Florian und Jan ihren Workshop an. Auf die Frage nach der Verbindung von DPSG und Jurten hat Jan eine klare Antwort: „Das gehört unabdingbar zusammen. Das muss einfach: Ohne Jurten keine DPSG und ohne DPSG keine Jurten.“ Auch Tobi, der heute zum ersten Mal seit Jahren eine Doppelstockjurte aufbaut, nickt er heftig: „Abgesehen von der Gemeinschaft in der DPSG sind Jurten das, worauf ich richtig Bock habe.“ Neben diesem Workshop hat er sich für einen zum Spleißen und Takeln angemeldet, auch das interessiert ihn als Materialwart sehr. Andere Themen sind für ihn aber nicht weniger relevant, er sagt dazu: „Das ist auch total wichtig. Für mich war das jetzt weniger interessant, weil ich auf andere Dinge Lust hatte.“
Erlebnispädagogik, 3D-Druck, Schokoladentasting, Lagerküche, Kopfgeschlecht und Körpergeschlecht, Lagerfeuertrommeln, Brennen mit Béla, Häkeln mit Heike, Geschlechtervielfalt, Poetryslam und Knoten und Bünde – das sind nur einige der Workshops, die im Rahmen des Leitendenkongresses angeboten wurden. Doch schon diese kurze Liste zeigt es schon: das think.tent war ein Kongress der Gegensätze. „Back to the roots“, das reicht heute offenbar nicht mehr aus, wie auch Diözesankurat Andreas in seinem Grußwort ergänzt: ein Baum brauche schließlich auch Äste zum Wachsen.
Bilder: Andreas Krüskemper, Christian Schnaubelt, Christina Behrens