Mitbestimmung gehört zu unserem pfadfinderischen Selbstverständnis – sie ist kein Zusatz, sondern Kern unserer pädagogischen Arbeit. Doch was heißt eigentlich echte Beteiligung? Und wie gelingt sie im Alltag von Gruppenstunden, Lagern oder Gremienarbeit?
Was Beteiligung wirklich bedeutet
Beteiligung (oder Partizipation) heißt: Kinder und Jugendliche gestalten aktiv mit – nicht nur symbolisch, sondern mit spürbarer Wirkung, auch für sie selbst. Und das steht auch in der UN-Kinderrechtskonvention (Artikel 12): „Kinder haben ein Recht darauf, gehört zu werden und Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen, die sie betreffen.“
Auf dem Papier haben wir diese Mitbestimmung in der DPSG schon an mehreren Stellen verankert: in der Ordnung, den Stufenpädagogiken, unserem Selbstverständnis als „Werkstatt der Demokratie“ und den verschiedenen Handlungsansätzen zur Mitbestimmung der vergangenen Bundesversammlung. Das ist ein guter Anfang, doch echte Beteiligung braucht mehr als Strukturen. Sie lebt von Haltung, Vertrauen und Transparenz. Und da sind alle Mitglieder der DPSG gefordert, insbesondere die Leiter*innen in der Gruppenarbeit vor Ort.
Merkmale echter Mitbestimmung
Echte Beteiligung zeigt sich, wenn:
Transparenz herrscht – Kinder und Jugendliche wissen, worüber sie entscheiden können, welche Spielräume sie haben und an welchen Stellen sie ihre Meinung einbringen können, auch wenn die Entscheidung von anderen getroffen wird.
Relevanz spürbar ist – die Themen betreffen ihr Leben, ihre Gruppe, ihren Alltag. Kinder und Jugendliche können auch selbst Punkte einbringen, die für sie wichtig sind.
Wirksamkeit erlebt wird – Beiträge haben Einfluss, Ergebnisse werden sichtbar auch für Kinder und Jugendliche umgesetzt.
Freiheit besteht – Beteiligung ist freiwillig, nicht erzwungen.
Lernen erlaubt ist – für Kinder und Jugendliche und Erwachsene. Auch wir haben nicht immer sofort zu allem eine Meinung. Kinder und Jugendliche brauchen Raum, Zeit und methodische Angebote um sich mit einem Thema auseinander zu setzen, Konsequenzen zu überblicken, sich auszuprobieren, Unsicherheit zu äußern und sich eine eigene Meinung zu bilden und Entscheidungsprozesse zu verstehen.
Altersgerechte Methoden genutzt werden – angepasst an Fähigkeiten, Lebensrealitäten, Reichweite der Entscheidung etc.
Reflexion stattfindet – Entscheidungen und ihre Wirkung werden gemeinsam nachvollzogen, die Reflexionen werden ernst genommen. Reflexionen sind unsere Basis zum Weiterlernen und Weiterentwickeln.
Nur unter diesen Umständen entsteht das, was die Forschung als Selbstwirksamkeit bezeichnet: das Gefühl, etwas bewirken zu können. Studien zeigen, dass diese Erfahrung entscheidend ist für demokratische Bildung, Motivation, Verantwortungsübernahme und Persönlichkeitsentwicklung.
Stufen der Beteiligung – Bewusst entscheiden, wie weit es geht
Beteiligung hat fachlich verschiedene Tiefen. Es geht nicht darum, immer die „höchste Stufe“ zu erreichen, sondern bewusst zu entscheiden, wie viel Mitbestimmung in einer Situation sinnvoll und möglich ist. Je nach Alter, Thema, Tragweite und Komplexität der Entscheidung kann Beteiligung unterschiedlich aussehen:
Um dieses Modell für euch greifbar zu machen hier ein paar Beispiele aus dem Gruppenalltag und die Verortung in den unterschiedlichen Stufen:
Instrumentalisierung oder Alibi-Partizipation: Kinder und Jugendliche sind anwesend, verstehen aber eigentlich gar nicht worüber abgestimmt wird oder vertreten nicht ihre eigene Meinung. Beispiel: Eine Stammesversammlung ist nicht kindgerecht gestaltet, sodass sie inhaltlich nicht folgen können. Ihre Leiter*innen sagen den Kindern und Jugendlichen, wann sie ihre Hand heben sollen.
Anweisung: Kinder und Jugendliche bekommen klare Anweisungen, können aber kaum mitbestimmen – sie führen Aufgaben aus, die von den Leiter*innen vorgegeben werden. Beispiel: Die Leiter*innen teilen die Pfadis in Gruppen ein, ohne dass die Jugendlichen die Gruppenkonstellation beeinflussen können.
Information: Kinder und Jugendliche wissen, was entschieden wird (oder bereits entschieden wurde) – Transparenz und Kommunikation als Basis. Beispiel: Die Leiter*innen erklären, warum das Sommerlager in einem bestimmten Zeitraum stattfindet oder warum wegen einer erhöhten Waldbrandgefahr kein Feuer gemacht werden darf.
Anhörung: Meinungen und Ideen werden ernst genommen und fließen in die Entscheidung ein. Beispiel:Die Gruppe sammelt Ideen, wohin das nächste Lager gehen soll. Die Leiter*innen prüfen die Vorschläge (z. B. hinsichtlich Budget, Logistik etc.) und geben eine begründete Rückmeldung.
Einbeziehung: Kinder und Jugendliche wirken aktiv im Entscheidungsprozess mit und können Vorschläge direkt einbringen, die ernsthaft geprüft werden. Beispiel: Die Juffis planen gemeinsam mit den Leiter*innen den Ablauf einer Gruppenstunde – sie schlagen Spiele und Aktivitäten vor, die dann in den Ablauf integriert werden, statt nur diskutiert zu werden.
Mitbestimmung: Kinder und Jugendliche gestalten Teile aktiv mit, z.B. durch Abstimmungen oder gemeinsame Planung. Beispiel: Die Wölflinge stimmen ab, welches Motto das Lager haben soll oder helfen, das Programm für den Stammestag zu gestalten.
Entscheidungskompetenz in Teilbereichen: Kinder und Jugendliche haben echte Entscheidungsmacht innerhalb kommunizierter Handlungsräume. Beispiel: Die Juffis entscheiden selbst, welches Projekt sie in der Gruppenstunde umsetzen möchten oder was in einem bestimmten Zeitslot auf dem Diözesanlager passieren soll.
Volle Entscheidungskompetenz: Kinder und Jugendliche entscheiden sich aus Eigeninitiative für ein Projekt und treffen die Entscheidungen dafür selbst. Erwachsene werden beteiligt, unterstützen und tragen die Entscheidungen im Rahmen ihrer Verantwortung mit. Beispiel: Die Pfadis entwickeln und leiten ein kleines Geländespiel für den Stammestag. Sie entscheiden über Regeln, Teams, Ablauf und Preise, ohne dass die Leiter*innen direkt eingreifen, bekommen aber bei Sicherheitsfragen und Rahmenbedingungen Unterstützung.
Selbstorganisation: Kinder und Jugendliche übernehmen Verantwortung für eigene Themen oder Projekte und handeln aus eigener Motivation. Beispiel: Die Rover organisieren eigenständig ein Wochenendlager – ggf. mit Unterstützung durch die Leiter*innen, aber ohne dass Leiter*innen vorgeben, wie es laufen muss.
In fast jeder Stufe kann echte Beteiligung gelebt werden und zu einem guten Ergebnis führen – wenn sie transparent, altersgerecht, relevant und nachvollziehbar gestaltet wird. Oft ist ein Mix aus unterschiedlichen Beteiligungsstufen der ideale Weg. Entscheidend ist nicht das „Wie viel“, sondern das „Wie ehrlich und passend“ Beteiligung gelebt wird.
Erfahre hier, wie die Pfadis des DV Münster über das Ziel der Grünen Welle XXL abgestimmt haben.
Und hier kannst du nachlesen, wie bei den Falken die Sommerlager fast vollständig von den Kindern und Jugendlichen organisiert werden.
Schein-Mitbestimmung vermeiden
Oft bleibt Beteiligung oberflächlich – Entscheidungen stehen schon fest, Kinder dürfen nur Details wählen oder erhalten keine Rückmeldung. Solche „Alibi-Prozesse“ untergraben Vertrauen und mindern Motivation. Echte Mitbestimmung heißt deshalb für Leiter*innen auch: Macht teilen, aber dabei verantwortungsbewusst bleiben.
Die Rolle der Leiter*innen
Leiter*innen sind Schlüsselpersonen. Sie schaffen Räume, in denen Kinder und Jugendliche Ideen äußern können – und nehmen diese ernst. Das erfordert eine offene Haltung, Transparenz über Entscheidungsprozesse und die Bereitschaft, Kontrolle abzugeben. Beteiligung muss gelernt und begleitet werden – von beiden Seiten.
Wie das gelingen kann
Im Rahmen der Ausbildung innerhalb der DPSG solltet ihr einige Praxisbeispiele für gelebte Mitbestimmung an die Hand bekommen. Bekannte Formate wie das Stimmrecht auf der Stammesversammlung und neue Formate wie die Stammesrunde und die Stufengipfel sollen Kindern und Jugendlichen echte Mitbestimmungsmöglichkeiten bieten. Ob sie das tun, liegt an euch: Kinder und Jugendliche sollen Demokratie in Aktion erleben, Meinungen entwickeln, sich für ihre Themen einsetzen und dadurch Selbstwirksamkeit erfahren. Doch Beteiligung beginnt schon im Kleinen – in der Gruppenstunde oder beim Lagermotto. Entscheidend ist, dass Kinder und Jugendliche spüren: Meine Meinung zählt.
Fazit
Echte Beteiligung ist kein Ziel, das irgendwann von Einzelnen erreicht wird – sie ist ein fortlaufender Prozess. Sie fordert uns heraus, Verantwortung zu teilen und zuzuhören. Wenn wir das ernst nehmen, wird aus gelebter Mitbestimmung das, wofür wir als Jugendverband stehen: eine Werkstatt der Demokratie in der wir Kinder und Jugendliche stärken, sich zu starken und selbstbewussten Persönlichkeiten zu entwickeln.
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