Pfadfinder-Typologie

Poetry-Slamer Nik Salflausen über die besondern Charaktere unseres Verbandes - also: über uns alle.

Pfadfinder sind in der öffentlichen Wahrnehmung ein bisschen wie Elfen: Man hat Geschichten über sie gehört, glaubt aber nicht so recht dran,
dass es sie wirklich gibt. Sie leben im Wald, sprechen mit Tieren – und niemand weiß genau, wie sie sich fortpflanzen. Letzteres muss mit
Mondzyklen, seltenen Pilzen und altem Krümeltee zu tun haben, beobachtet wurde es aber noch nicht außerhalb von Rover
Bundesaktionen. Diesem Mangel an Informationen ist es wohl zuzuschreiben, dass die meisten Menschen direkt ein Stereotyp vor Augen haben, wenn sie das Wort „Pfadfinder“ hören – aber wir wissen es besser. „Den EINEN Pfadfinder“, „die EINE Pfadfinderin“ gibt es natürlich
nicht. Wir wissen: Es gibt genau sieben typische Pfadis. Und wir kennen sie alle.

Da ist die Survivalexpertin, die eigentlich nur in die Gruppenstunde kommt, um sich darüber zu beschweren, dass diese nicht in der Wildnis
Nordlapplands stattfindet. Sie trägt ausschließlich Camouflage, um auch beim Kuchenverkauf neben der Kirche optimal getarnt zu sein, und hat
ein Tattoo von Bear Grylls Gesicht – im Gesicht. Messer unter 25cm stehender Klinge lehnt sie genauso ab wie Toiletten mit Brille – und nur
eines fürchtet sie mehr als eine Nacht im Trockenen: Archetyp 2. Den Sozialpädagogen.

Der Sozialpädagoge ist im echten Leben Grundschullehrer, hat sieben eigene Kinder und findet, er müsste in seiner Freizeit definitiv noch ein
bisschen mehr in Kontakt mit der jungen Generation kommen. Bei der Programmplanung setzt er sich für Spiele ein, bei denen irgendwie alle
gewinnen und die wichtige Lektionen vermitteln über Harmonie, Frieden, Nachhaltigkeit und veganen Zupfkuchen. Er glänzt besonders, wenn es nach dem Lager gilt, die Reflexion der Reflexion der Reflexion zu reflektieren und weiß: Ein Spiel dauert 90 Minuten, der Feedbackbogen
auch.

Wer sich vor seinem Yoga-Sit-In drücken möchte, versteckt sich gerne hinter der schillerndsten Gestalt im Lagerleben: Hinter der
Abzeichenjägerin. Dieses besonders kuriose Produkt der pfadfinderischen Evolution kann sich kaum bewegen unter einem durch überlappende Textilflicken vollends zum Panzer ausgehärteten Poncho, leuchtet dafür aber in allen Farben des Regenbogens. Jahresaktion 1984, der seltene Fehldruck eines südkoreanischer Versprechensaufnäher, das Seepferdchen in Bronze, ein „Es gibt nur einen Gott – BelaFarinRod“ Emblem, Wind in Westernohe, Regen in Westernohe, Sonne in Westernohe, mittelmäßiges Wetter in Westernohe, Gemüsesuppe in Westernohe – wenn man es auf Stück Stoff nähen kann, besitzt sie es. Ein wandelndes Stammesmuseum – der perfekte Sidekick für:

Nummer 4 – Die Stammesälteste. Sie weiß seit Adenauers Zeiten, wie der Hase läuft. Adenauer war ihr Gruppenkind. Wie sein Vater vor ihm. Sie kennt jede Schöpfkelle und jeden Hering persönlich – und niemand ist ihr so suspekt wie Nummer 5 – Der Lagertourist. Der hat keine Wanderstiefel dabei, aber einen gepolsterten Schwedenstuhl mit Becherhalter, Bluetooth-Boxen und Nackenmassagefunktion. Er verschwindet, wenn es was zu tun gibt, auf mysteriöse Weise, und fragt die anderen Leiter am Abbautag, warum sie so unentspannt wirken. Damit bringt er vor allem Pfadfinderin Nummer 6 auf die Palme, die Baumeisterin. Sie hat im Alleingang Tische, Duschen, Bannermast und Lagertor aufgebaut und dann noch kurz aus einer Astgabel, zwei Metern Schnur und einem toten Wiesel eine Sauna für 8 Personen gebastelt. Ihr erster Sohn trägt den Namen „Fiskars“, ihre Tochter heißt „Hilti“, ihretwegen denkt die Firma Leatherman darüber nach, ihre lebenslange Garantie abzuschaffen. Unter zwei durchgerödelten Klingen pro Freizeit geht sie nicht heim; eben arbeitet sie an den Bänken rund ums Lagerfeuer, wo das Biotop für Pfadinder-Archetyp 7 entsteht:
Den Entertainer. Seit er vor vier Jahren entdeckt hat, dass Wonderwall nur fünf Akkorde hat, ist seine Welt nicht mehr dieselbe. Die Sticker auf
seiner Klampfe sind sorgfältig schlampig aufgeklebt, die zerrissenen Jeans ein Spiegel seiner suchenden, verirrten Seele, sein Gesang ist schief,
aber irgendwie voll sweet, finden die Pfadi-Mädels…

Das alles – sind wir, ist niemand von uns. Und mal ehrlich: Habt ihr auf einem Lager schonmal etwas in Schubladen sortiert? Wenn eine Schublade sinnvoll ist, dann eine, die groß genug ist für uns alle und viele mehr, eine Schublade, die aus Holzbohlen zusammengeschnürt ist und bunt dekoriert. Außerdem riecht sie ein bisschen muffig, weil wir die frischen Socken irgendwie wieder nicht angezogen haben. Unsere Schublade hat nur ein Label: Pfadi. Was findest du, wenn du sie aufmachst? Uns!

Und das heißt: Lagertaler anstatt Masterkarte
Tuch am Kragen statt Krawatten tragen
Heißt zu wagen, fragen, nachzuhaken
Funken für ein Leuchtfeuer am Abend schlagen
Statt „Nehme ich so hin“ besser „was ich kann ich da machen“ sagen
Die Hacken öfter auf Waldpfaden als auf Pflaster oder Straßen haben
Loslegen, anstatt abzuwarten
Andern helfen, ihre Last zu tragen
Intoleranzen aller Arten nicht zu dulden, sondern abzuwatschen
Man selbst sein. Frei sein. Ich versuch’s ja, doch ich kann’s nicht ohne
Pathos sagen:
Wir bleiben Pfadis
An guten und an harten Tagen.

Hier findet ihr übrigens auch einen Link zum Videomitschnitt seines legendären Auftritts. 

Über den*die Autor*in

Nik Salflausen

Nik Salsflausen steht seit 2011 auf der Bühne, seitdem erreichte er zweimal das Finale der deutschsprachigen Meisterschaften im Poetry Slam und gewann die baden-württembergische Meisterschaft 2014. Er lebt und arbeitet in Esslingen, wo er Teil der monatlichen Lesebühne „Mängeleksemplare“ ist. Nik ist seit der Grundschule Pfadfinder im Stamm DPSG St. Josef Bromach (Baden-Württemberg). Vielen von euch ist er vermutlich durch seinen Auftritt beim Leuchtfeuer 2018 in Westernohe bekannt. Wir möchten uns herzlich bei Nik bedanken, dass er uns seinen Text für diese Ausgabe zur Verfügung stellt!