Radikal, weltoffen und ökologisch – Unsere Visionen von der DPSG

Die Welt ist in Bewegung und wir bewegen uns mit ihr. Das müssen wir auch, um auch in einigen Jahrzehnten Kindern und Jugendlichen das Zuhause zu bieten, das wir in diesem Verband gefunden haben. Was sich dafür in der DPSG verändern muss und was bestehen bleiben darf, haben Henning und Lioba in zehn Maximen zusammengefasst.

1)Die DPSG ist Vorreiterin in Sachen Klimaschutz.

Lioba hat noch kein Wölflingsversprechen gehört, in dem nicht mindestens ein Kind erklärt hat: “Ich verspreche, die Umwelt zu schützen.” Ein weitreichendes Versprechen, das den Kindern in seiner Tragweite vermutlich nicht bewusst ist. Und doch ist unser ökologisches Verständnis oft das erste, was wir den Kindern in unseren Gruppenstunden zu vermitteln suchen. Und das ist doch auch gut so, denn die weltpolitische Lage erfordert das Eingreifen jeder und jedes Einzelnen. Wir müssen aktiv und nachhaltig die Umwelt prägen und unsere Kinder und Jugendlichen zu Multiplikator*innen ausbilden. Das geht zum einen über spielerische Aktionen in den Gruppenstunden [in der VZ 21/1 haben wir Ideen gesammelt]. Zum anderen müssen wir uns als Verband aber auch über unsere Handlungsmöglichkeiten bewusstwerden. Auch wir als Verband können unsere Strukturen überprüfen und nachhaltiger gestalten. Das fängt im Zeltlager an: Wie reisen wir an? Wie sieht die Ernährung aus? Wie gestalten wir unser Programm? An vielen Stellen lassen sich Maßnahmen etablieren, die zu mehr Klimaneutralität beitragen – die Anreise per Zug, mehr vegetarische oder vegane Ernährung oder auch ein Ausflug zu Fuß. Dass das klappt, konnten wir schon selbst erleben: Das Rover-Bundesunternehmen RoverVoco setzte erfolgreich auf Fahrten im ÖPNV – und zwar quer durch die Republik. Und das Rover-Winterlager im Bezirk Niederrhein-Nord wurde komplett vegan bekocht. Satt sind alle geworden. Dass eine ökologischere Veranstaltungsplanung oft auch finanzielle Entlastung mit sich bringt, ist sicherlich ein schöner Nebeneffekt. In einigen Gliederungen gibt es bereits Konzepte für nachhaltiges Veranstaltungsmanagement, so zum Beispiel am nördlichen Niederrhein. Vielleicht wäre ein solches auch für den Diözesanverband hilfreich.

2) Wir sind laut für unsere Meinung.

Bereits in den Gruppenstunden lernen wir: wir haben eine Meinung, die gehört wird. Wir dürfen in den Gruppenstunden darüber mitbestimmen, was uns wichtig ist. Wir lernen, eine eigene Meinung auszubilden. Das stärken unsere Strukturen, in dem das höchste beschlussfassende Gremium, die Stammesversammlung, allen Kindern ein wichtiges Stimmrecht zu teil kommen lässt. Kinder und Jugendlich lernen in unserem Verband, dass Mitentscheiden und Entscheidungentreffen Spaß machen kann, dass Kompromisse manchmal wirklich schwer zu finden sind und dass wir mit unserer Meinung etwas verändern können. Wie wichtig es ist, Kindern das Vertrauen zu schenken, dass sie wirklich was bewegen können, hat Henning bei seinem WBK-Projekt gelernt. Die Jungpfadfinder*innen haben ganz allein im Sinne der Projektmethode ein Vorhaben entwickelt und dies dann an zwei Tagen umgesetzt. Herausgekommen ist ein Baumhaus, in welchem alle Platz gefunden haben und dort übernachten konnten. Dass Leitende sich hier zurücknehmen, ist ein wichtiger Bestandteil des Lernens, denn Kinder und Jugendliche können wirklich viel! Und das ist auch der wichtigste Punkt: wir müssen Kindern und Jugendlichen zuhören und sie in unseren Strukturen vertreten, aber uns auch auf politischer Ebene für ihre Interessen einsetzen. Um da ein Thema kurz aufzumachen, ein Wahlrecht für alle ab 16 Jahren, wäre da doch ein gutes Entgegenkommen von politischer Seite. Wenn Kinder und Jugendliche Mitbestimmung hautnah mitbekommen und erleben, dann steuern wir ganz aktiv gegen Politikverdrossenheit und für ein Demokratieverständnis. Denn wir als Verband sind politisch, wir stellen uns gegen die Drachen unserer Zeit und werden uns nicht unterkriegen lassen!

3) Kinder dürfen Kinder sein.

Die DPSG bietet sich als Andersort an. Das hat jede*r erlebt, der oder die schon einmal mit Blick ans Zeltdach und nicht unter die Zimmerdecke aufgewacht hat. Pfadfinden ermöglicht den Teilnehmenden die Ausflucht aus häuslichen Strukturen und gibt die Chance anders und anderes zu lernen, als das in familiären und schulischen Strukturen üblicherweise möglich ist. Kinder dürfen bei uns aufwachsen – als Kinder ohne den Druck der gesellschaftlichen Erwartungen. Sie dürfen sein, wie sie sind. Die DPSG ist ein Schutzraum, an dem das Individuum und nicht die Leistung zählt – “look at the boy, look at the girl”. Damit Kinder und Jugendliche gut aufwachsen und sich in vollen Zügen nach ihren Wünschen und Möglichkeiten entwickeln können, brauchen sie Freiräume. Freiräume, um sich auszuprobieren und nach und nach Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Die Strukturen der Roverstufe bis 21 und das Prinzip Leiten ab 18 sind hier hilfreiche Mechanismen.

4) Wir sind weltoffen.

Wen erreichen wir eigentlich mit unserer Bildungsarbeit? Wenn man in unsere Gruppenstunden schauen, sind diese doch ziemlich homogen – weiß, zumeist heterosexuell, eher männlich als weiblich, Mittelklasse und christlich geprägt. Schaut man auf den strukturell höheren Ebenen, dann ist bei vielen ein Bildungsabschluss zu vermerken. Auch wenn wir uns gerne als weltoffener Verband betrachten, sind wir dies in der Zusammensetzung mit Sicherheit nicht im gewünschten Maße. Ein Teil der Homogenität lässt sich sicherlich mit der Anbindung an die katholische Kirche begründen. Aber vielleicht sollten wir uns auch selbst kritisch hinterfragen und den Zugang zu unseren Gruppenstunden niedrigschwelliger gestalten und Diskriminierungsstrukturen abbauen. Das gilt genauso für Menschen mit Behinderungen [HB1] [LV2] wie für solche, die von Sexismus oder Rassismus betroffen sind. Wenn wir ein weltoffener Jugendverband sein wollen, dann müssen wir Pfadfinden auch wirklich und ehrlich für alle möglich machen und Barrieren in den Köpfen und den Gruppenräumen abbauen. Das geht nicht ohne Aufklärungsarbeit und Arbeitshilfen. Wir freuen deshalb auf die Jahresaktion 2024 zum Thema Rassismus, die nach den Aktionen “Pfadfinden für alle (un)möglich” 2014 und “Farbfinden” 2022 Diskriminierung in unserem Verband aufarbeitet, genauso wie auf die Awarenessstrukturen, die sich auf Bundes- und Diözesanebene zunehmend ausbilden.

5) Als Jugendverband gestalten wir Kirche mit.

Wir sind Teil der katholischen Kirche, wir sind Teil einer Weltkirche, welche in vielen Punkten überholt ist. Dennoch haben wir das Gefühl, dass junge Menschen auf einer Suche nach Etwas sind. Nach Etwas, das uns begeistert und das uns abholt. Im Verband lernen und leben wir Glaube. Die Gemeinschaft am Lagerfeuer bietet uns einen Rückzugsort, welchen wir spirituell mitgestalten und begleiten können. Als Jugendverband sind wir ein Ort, der Kirche vor denkt, der überholte Strukturen verlässt und der Menschen befähigt Kirche sein zu können. Wir sind als Glaubensverband offen für alle, die unsere Spiritualität teilen, die mit uns eine lebenswerte Stadt errichten wollen. Wir können so Kinder und Jugendliche abholen in Fragen des Lebensweges, Perspektiven aufzeigen und unterschiedliche Lebensmodelle präsentieren und vorleben. Vereint in unserem Glauben und unserer Spiritualität sind wir Halte- und Ankerpunkt für Jung und Alt.

6) Pfadfinden ist überregional und international.

Pfadfinden ist die größte Jugendbewegung weltweit. Pfadfinder*innen gibt es in fast allen Ländern auf dieser Welt. Trotzdem bleibt Pfadfinden nicht selten im Jugendkeller des Pfarrheims verhaftet. Wir sollten Vernetzung stärker leben – egal ob im Bezirk, im DV oder eben über Landesgrenzen hinweg. In unserem Diözesanverband haben sich in den letzten Jahren einige schöne Projekte gerade über die Stufen entwickelt: das Wö-Diözesanlager im Sommer, die Juffi-Tage, die Grüne Welle im DV oder sogar in Irland und natürlich das altbewährte Busch on Tour. Aber auch der Leitendenkongress hat Gelegenheit zur Vernetzung gegeben. Davon brauchen wir mehr und mehr Internationalität. Gerade mit Blick auf die wachsenden Nationalismen sollten wir unseren Kindern und Jugendlichen zeigen, welche Wirkmacht eine internationale Jugendbewegung haben kann.

7) Miteinander und voneinander lernen.

In unserer Ordnung steht: “Die DPSG ist eine Werkstatt der Demokratie und ein Ort nonformaler Bildung.” Dieses Verständnis unseres Verbandes als Ort nonformaler und  außerschulischer Bildung geht im Trubel der wöchentlichen Gruppenstunden allzu schnell verloren. Aber wir dürfen das Potenzial, das in diesem Verband und seinem pädagogisch-didaktischen Konzept ruht, nicht unterschätzen, denn Kinder lernen am besten, wenn sie nicht wissen, dass sie gerade lernen. Learning by doing ist längst zum geflügelten Wort geworden, wir leben es. Zum Konzept gehört aber nicht nur die soziale, ökologische und spirituelle Bildung, die wir den Kindern und Jugendlichen vermitteln, sondern vor allem auch das lebenslange Lernen: “Die Mitglieder der DPSG sind Menschen in Entwicklung. Nicht nur die Kinder und Jugendlichen, auch die Leiter*innen des Verbandes reflektieren und überprüfen ihr eigenes Handeln und entwickeln sich so fortwährend weiter.” [Ordnung]. Das heißt, wir sollten zum einen die Bildungsangebote für Leitende ausbauen und die Themenfelder ausweiten – think.tent und MoVe stießen auf große Zustimmung. Zum anderen müssen wir als Leitende bereit sein, voneinander und vor allem auch von den Kindern und Jugendlichen zu lernen. Weniger engstirnige Altersarroganz und mehr Miteinander-Neugier ist die Devise der Zukunft. Ein großer Schatz ist dabei unser Hang zur Reflexion, die wir als Leitende meisterhaft beherrschen dürften. Und die Erfahrung zeigt: Viele Realitäten sind nach einer guten Fünf-Finger-Reflexion gleich weniger trüb.

8) Wir organisieren unsere finanzielle Absicherung neu.

Auch wir können nicht ohne finanzielle Ressourcen auskommen, denn wir haben nicht nur unsere Diözesanstelle mit hauptamtlichen Mitarbeitenden, sondern auch sind wir in den einzelnen Stämmen auf Förderungen von Land, Kommune und Kirche angewiesen. Wir wünschen uns, dass wir finanziell unabhängiger werden, dass wir feste Geldbeträge vom Land NRW bekommen, um unsere Stellen langfristig finanzieren zu können. Wir möchten mit gutem Beispiel vorangehen und bezahlen unsere Mitarbeitenden gut und sozial verträglich, schaffen ihnen Möglichkeiten sich weiterzuentwickeln und zu bilden, sind ein Arbeitgeber, der zukunftssicher und mitarbeiterfreundlich agiert. Dazu gehört auch, dass wir unabhängiger werden von kirchlichen Stellen und Finanzierungen, denn wir alle bekommen die Sparpläne des Bistums hautnah mit. Ein zweiter Baustein muss es sein, dass Stämme geschult werden, kommunale Gelder zu beantragen und zu beziehen. Christian Brüninghoff hat beim Modulwochenende im März mit seinem Workshop „Wie kann ich das Jugendamt und Co. dazu bringen mich zu finanzieren?“ ein erstes Angebot in eine solche Richtung geschaffen. Hier müssen wir uns verbandlich besser aufstellen, gezielte Angebote und Strukturen erarbeiten, um ein besseres Verständnis von kommunalen Geldern zu bekommen und diese auch systematisch beantragen und ausgeben. Denn unsere Arbeit ist außerschulischer Lernort für junge Menschen, wir sind absolut förderungswürdig!

9) Machtstrukturen anfassen.

Wir wollen unsere Strukturen überdenken. Wir leben in immer bewegenden und schnell wechselnden Zeiten, das beutetet, wir müssen uns den Veränderungen im schulischen und im beruflichen Feld anpassen. Dazu gehört auch die Idee, dass wir junge Menschen befähigen müssen, Verantwortungen zu übernehmen. Für die Stammesebene kann das bedeuten, dass wir junge Leiter*innen aktiv für den Stammesvorstand ausbilden und sie von der vielschichtigen Arbeit und Aufgabe begeistern. Denn als Kinder und Jugendverband soll es unsere Pflicht sein, dass junge Menschen erste Führungserfahrungen erleben und so wichtige Kernkompetenzen für ihren späteren Alltag erlernen. Dies kann auch die Konsequenz haben, dass die Dinos die erste Reihe räumen und mit ihrer Erfahrung unterstützen können. Das Ehrenamt in den Stämmen darf nicht an einzelnen Menschen hängen, jede*r sollte sich auch entbehrlich machen, so dass wir als Verband in Bewegung bleiben.

10) Wir bleiben in Bewegung.

Das Wichtigste ist, dass wir uns neuen Situationen anpassen können. Eine Zukunft, welche durch große Aufgaben geprägt sein wird, wie der Umgang mit dem Klimawandel, die Transformation in eine digitale Welt und der globale Schutz von Kindern und Jugendlichen, wird uns fordern. Als Kinder- und Jugendverband wollen wir Vorausgehen und radikal bleiben, wir wollen unsere Standpunkte vertreten und wichtige Veränderungen voranbringen. Wir sind Teil unserer Gesellschaft, welche in Bewegung bleibt und sich nicht mit Stillstand zufriedengeben wird. Wir sind das Zuhause von Kindern und Jugendlichen, die unsere Zukunft bauen, aktiv und motiviert sind. Lasst uns gemeinsam anfangen, die Welt besser zu hinterlassen, als wir sie vorgefunden haben!


 [HB1]Merrit; human first? ist das nicht schon überholt??

Also ich kenne das aus meiner Arbeit bei der Lebenshilfe genauso und meine sozialarbeitende Mitbewohnerin ist auch für diese Formulierung. [LV2]

Über den*die Autor*in

Henning Bayer und Lioba Vienenkötter

Henning ist verbandspolitischer Vorstandsreferent, Lioba Referentin für Kommunikation und Medien