Drei Jungs sitzen im Grünen und schauen lachend auf ein Handy.

Social Media im Jugendverband: Orientierungsbedarf oder FOMO?

Ein Interview mit der Medienpädagogin Birgit Amenda.

Für Kinder und Jugendliche ist es heute eine Selbstverständlichkeit, ständig online zu sein. In ihren Gruppenstunden und Ferienfreizeiten sind die Jugendverbände gefordert, einen Umgang mit dieser Entwicklung zu finden. Welche Aspekte es dabei zu berücksichtigen gilt, erläutert Medienpädagogin Birgit Amenda im Gespräch mit dem bdkj.pool, der uns dieses Interview freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.

Täuscht der Eindruck, oder sind junge Menschen heute wirklich „always on“?

Birgit: Die Zeit, die Jugendliche online verbringen, hat sich während der Corona-Pandemie tatsächlich stark erhöht. Im Jahr 2020 waren die 12- bis 19-Jährigen laut der jährlich durchgeführten, repräsentativen JIM-Studie im Schnitt 258 Minuten täglich online. Auch ohne die Kontaktbeschränkungen blieb der Wert mit 224 Minuten täglicher Online-Zeit in 2023 weiter auf hohem Niveau.1 Und auch jüngere Kinder nutzen laut der KIM-Studie, die die Werte für die 6- bis 13-Jährigen erhebt, immer länger das Internet und zwar neben dem in allen Altersgruppen beliebten WhatsApp vor allem Apps wie TikTok, Snapchat, Instagram und die Videoplattform Youtube.2

Warum fällt es den Kindern und Jugendlichen oft so schwer, ihre Smartphones für eine Weile zur Seite zu legen?

Birgit: Das lässt sich am besten mit einem Blick auf zentrale Nutzungsmotive und Funktionen beantworten. Die Nutzung von Medien jeder Art, analog wie digital, dient dazu, einen Zweck zu erfüllen oder ein Bedürfnis zu befriedigen – sei es zur Information, Kommunikation oder auch zur Unterhaltung gegen Langeweile. Gerade das multifunktionale Smartphone erfüllt mit seinen unzähligen Apps und dem zeitlich unbegrenzten Zugriff auf eine unendliche Fülle an Inhalten für die Jugendlichen – genau wie für uns Erwachsene – all diese Funktionen auf einmal.

Zwei junge Frauen posen um ein Selfie mit dem Handy zu machen.

Für die Heranwachsenden stellt ein zentrales Nutzungsmotiv die Suche nach Orientierung dar, die sie für die Bewältigung der vielfältigen Entwicklungsaufgaben in diesem Lebensabschnitt benötigen. Dazu gehört es etwa, ein Wertegerüst aufzubauen, stabile Beziehungen innerhalb und außerhalb der Familie aufzubauen und zu pflegen und vor allem auch, die eigene Identität zu entwickeln. Diese Orientierungssuche vollzieht sich heute in großem Ausmaß online auf sozialen Netzwerken und digitalen Plattformen. Darüber hinaus organisieren die jungen Menschen mithilfe des Smartphones ihre Freizeit, halten die Kommunikation zur Peergroup aufrecht, nutzen kreative Funktionen, um sich darzustellen und Feedback zu erhalten. Ein beträchtlicher Teil der online verbrachten Zeit erfüllt damit ganz praktische soziale Funktionen und das Smartphone ist der direkte Draht zu allem, was für sie relevant erscheint. Die FOMO (Fear of missing out) ist deshalb unter Jugendlichen weit verbreitet, also die Angst, etwas zu verpassen, wenn man für eine Weile offline ist.

Wenn es den Jugendlichen so schwer fällt, die Neuigkeiten auf dem Handy zu ignorieren, sind Ablenkungen in den Gruppenstunden und beim Programm in den Ferienfreizeiten vorprogrammiert. Sollten die Geräte in diesen Kontexten also lieber verboten werden?

Birgit: Ich kann den Reiz eines Verbotes gut verstehen, es ist die einfachste Lösung und gerade Eltern begrüßen medienfrei gestaltete Zeiten für ihre Kinder. Allerdings führen Verbote oft zu Widerwillen und Unverständnis bei den Heranwachsenden. Bei Freizeitangeboten, wie denen der Jugendverbände, erscheint es zielführender, Regeln für den Umgang mit den mobilen Endgeräte gemeinsam mit den Teilnehmenden auszuhandeln und festzulegen. Die Möglichkeit, die Regeln mitzugestalten, erhöht deren Akzeptanz deutlich. Handys aus den Angeboten eines Jugendverbandes zu verbannen, erscheint mir auch deshalb als Lösung nicht ideal, weil die Online-Mediennutzung selbstverständlicher Teil der Lebensrealität der jungen Teilnehmenden ist, an der die Kinder- und Jugendarbeit ansetzen sollte. Daher gilt es vielmehr, durchdachte Konzepte für den Umgang damit zu entwickeln.

Was sollten Jugendverbände dabei beachten?

Birgit: Gleich, ob Smartphones wie bereits von einigen Jugendverbänden ganz aktiv mit ihren kreativen und interaktiven Möglichkeiten als Bestandteil des Programms eingesetzt oder lediglich in Pausenzeiten geduldet werden: Es gilt immer, sich auf grundlegende Regeln für den Umgang damit zu einigen. Den Gruppenleiter*innen und Betreuer*innen kommt dabei natürlich eine wichtige Vorbildfunktion zu.

Es gilt immer, sich auf grundlegende Regeln für den Umgang damit zu einigen. Den Gruppenleiter*innen und Betreuer*innen kommt dabei natürlich eine wichtige Vorbildfunktion zu.

Darüber hinaus bietet die Online-Mediennutzung der Jugendlichen aber auch vielfältige Anlässe, um ins Gespräch zu kommen, etwa über mögliche damit verbundene Risiken wie Cybermobbing, Cybergrooming, Desinformation und Stimmungsmache von rechten Influencer*innen oder extremistischen Gruppierungen, denen die jungen Nutzer*innen häufig online begegnen (s. Grafik).

Vielfach fehlt es den Eltern an der nötigen Medienkompetenz, um negative Medienerfahrungen richtig einzuordnen und ihre Kinder bei deren Vorbeugung oder dem Umgang damit zu unterstützen – oder die Kinder vertrauen sich diesen aus Scham und der Angst vor Verboten nicht an. Als wichtige Akteur*innen der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit können entsprechend geschulte Betreuungspersonen in den Jugendverbänden für die Kinder und Jugendlichen wertvolle Ansprechpartner*innen sein und mit ihnen gemeinsam nach Lösungen und Handlungsstrategien suchen und so ihre Medienkompetenz fördern. Schließlich ist Letztere heutzutage eine zentrale Voraussetzung für die selbstbestimmte gesellschaftliche Teilhabe, zu der auch die Jugendverbände anregen. Das Thema Mediennutzung müsste fest in der Ausbildung von Jugendleiter*innen verankert und entsprechend auch in den Schutzkonzepten der Jugendverbände berücksichtigt werden. Praktische Hilfestellungen und Anregungen, wie problematische Aspekte der Online-Nutzung mit jungen Menschen bearbeitet werden können, gibt es mittlerweile in großer Auswahl (siehe Infokasten unten).

Vielen Dank für das Gespräch.

Medienkompetenzförderung: Infos, Material, Hilfe und Beratung

fragzebra.deHilfe bei Fragen rund um das Thema Medien und den digitalen Alltag
juuport.deOnline-Beratung bei Problemen im Netz
kinder.jff.de Infos zur Medienerziehung und Anleitungen für Medienprojekte
klicksafe.deInfos und Material zur Förderung der Medienkompetenz
safe-im-recht.deOnline-Beratung zu digitaler Gewalt und Jugendrecht
schau-hin.infoRatgeber für Eltern und Betreuungspersonen

Quellen:

1Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs): JIM-Studie 2023. Jugend, Information, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart.

2 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs): KIM-Studie 2022. Kindheit, Internet, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 6- bis 13-Jähriger. Stuttgart.

Bilder: Max Fischer / Pexels | Vinicius Wiesehofer / Pexels

Über den*die Autor*in

Portrait von Birgit Amenda

Birgit Amenda

Medienpädagogin