Für uns ist es ganz normal, dass jeder in seiner Kluft auf Pfadfinderveranstaltungen herumläuft. Dabei müssen dann noch zwei verschiedene Subtypen unterschieden werden: Solche, die auch noch abends im Bett in einer top gebügelten Kluft einschlafen und solche, die sie dann nur mal im Gottesdienst oder bei vermeintlich offiziellen Anlässen zum Besten geben.
Daraus ergibt sich meiner Meinung nach die Frage, welche Beweggründe haben wir eine Kluft anzuziehen oder mit welchen Vorurteilen begegnet uns die Zivilgesellschaft beim Tragen einer Kluft? Wann ziehe ich meine Kluft an und wann lasse ich dies ganz bewusst bleiben?
Zunächst ist die Kluft da, um uns als Pfadfinderinnen und Pfadfinder kenntlich zu zeigen, sie suggeriert Zugehörigkeit zu einem Verband, außerdem werden finanzielle Unterschiede ausgebügelt, die auch in unserem Verband Einfluss haben. Das Tragen der Kluft verbindet, sei es im Sommerlager beim Gruppenfoto, im Gottesdienst oder auf der Bezirksversammlung. Bei mir entsteht auch ein Gefühl von „großer Familie“, viele Menschen die ähnliche Interessen vertreten und mit denen man oft auf der gleichen Wellenlänge schwingt. Vielleicht ist das bei dir aber anders?
Schön und gut, aber in welchen Situationen stößt das Tragen der Kluft auf Unverständnis oder gar Abneigung? Ich bin groß geworden in einem kleinen Ort mit 6.000 Einwohnern am nördlichen Niederrhein, die Pfadfinder im Ort bieten eines der größten Jugendangebote, so dass auch im Dorfleben die Pfadfinder einen wichtigen Platz eingenommen haben. Hier denke ich eigentlich nie darüber nach, da setzte ich mich aufs Fahrrad und fahre schon mit angezogener Kluft durchs Dorf.
Dieses Selbstverständnis hat sich nun geändert. Seitdem ich nach Essen gezogen bin und dann zu Bezirksveranstaltungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin, denke ich dreimal nach bevor ich in Kluft unterwegs bin. Maximal trage ich auf der Anfahrt schon ein Halstuch und das reicht aus um komische Blicke zu ernten. In größeren Städten sind die Pfadfinder eine Randbewegung, nur in einem kleinen Umfang im öffentlichen Leben aktiv, so dass nicht jeder Mitbürger damit etwas anfangen kann. Und natürlich erinnert eine Kluft auch an eine Uniform – zumindest auf den ersten Blick. Wenn man sie dann genauer betrachten würde, kann man feststellen: sie ist bunt, Aufnäher zeugen von vielen kleinen Erlebnissen, die wir erfahren haben.
Aber warum traue ich mich dann nicht sie häufiger auch schon auf der An- und Abreise zu tragen? Stehe ich nicht zu diesem Verband und möchte meine Passion nicht nach außen tragen? „Überzeugungen sichtbar machen“ ist für mich von zentraler Bedeutung in meiner Pfadfinderarbeit, ich stehe dazu und handle nach diesem Leitbild. Desto wichtiger ist es auch Flagge zu zeigen, Blicke auszuhalten und wenn möglich noch ein nettes Gespräch in der Bahn anzufangen. Ich erreiche nur etwas, wenn ich meine Kluft demnächst schon vor der Veranstaltung anziehe, ich kann in einen Diskurs gehen mit Menschen, die uns als Verband nicht kennen und Pfadfinder per se mit „in den Wald scheißen“ gleichsetzen.
Ähnlich ist diese Situation auf einer Demonstration: Sei es für den Klimaerhalt oder gegen rechtsextreme Gesinnungen. Wann ist es sinnvoll, dass nicht nur ich demonstriere, ab welchem Zeitpunkt ist es wichtig, dass ich als Pfadfinder dagegen demonstriere?
Klar, es ist eine Sache, wenn es uns als Pfadfinderstamm direkt betrifft: Sei es eine Änderung der Gemeindezuschüsse, von Grundstücken oder was auch immer. Dann stehen wir als Stamm oder Bezirk da und haben ein direktes Anliegen, welchem wir Gehör verschaffen wollen. Es geht dann bei solchen Situationen um unsere eigene Arbeit und wohlmöglich um die Zukunft unseres Stammes. Das leuchtet ein, warum ich dort als Pfadfinder demonstriere.
Viel schwieriger wird es, wenn es um die Haltungen und Werte unseres Verbandes geht. Dabei ist es eine Gratwanderung, zu welchem Zeitpunkt es wirklich sinnvoll und nötig ist, dass ich als Pfadfinder demonstriere. Mit schwierig meine ich dabei, es sind sehr subjektive und Einzelfallentscheidungen. Dabei kommt vieles zusammen: ich informiere mich über die Demo, den Veranstalter, das Risiko für ggf. meine Gruppenkinder und mich, viel mehr gibt es da zu beachten und es benötigt immer mehr Planung und Abstimmung mit Eltern und Leiterrunde.
Um ehrlich zu sein: Das finde ich oft sehr anstrengend und es schwingt auch dabei folgende Gedanken mit: Gelange ich jetzt gleich unter gewaltbereite Gegendemonstranten? Überschreiten Mitdemonstranten meine eigenen Grenzen? Kann ich mich gegen die Gruppendynamik, die auf einer solchen Demo passieren kann, überhaupt durchsetzen? Kann ich den Eltern am Ende des Tages versprechen, dass ihre Kinder wieder gesund zu Hause ankommen?
Vielleicht hilft euch dieser Gedankenanstoß bei eurer Entscheidung. Ist es nicht genau dieses Risiko, welches ich eingehe um Stellung zu beziehen, um zu sagen „NEIN – dafür stehen wir als Pfadfinderinnen und Pfadfinder nicht“, die uns zu Weltverbesserern macht? Mein Aufruf an euch: Macht genau das, was ihr euch und eurer Gruppe zutraut und vielleicht zieht ihr dabei schon auf der Hinfahrt eine Kluft an.