Die Zukunft ist eine dieser fremden Welt, egal, ob in den Weiten des Alls oder auf unserem Heimatplaneten. Um die Visionen verschiedener Zukünfte auszugestalten ist eine Menge Kreativität notwendig. Und man muss sein Publikum gut kennen, um den Unterhaltungswert sicherstellen zu können. Da fremde Welten besonders dann gut unterhalten, wenn sie einen gewissen Thrill bieten, herrscht in diesen meist die Angst.
Kein*e Autor*in erfindet neue Ängste. Visionen in Film und Literatur spielen mit unseren Ängsten von heute. Wenn sie von der Zukunft erzählen, erzählen sie eigentlich von der Gegenwart. Von unseren Schwächen. Oft mit viel Zynismus verbunden, manchmal auch mit Hoffnung. Vom Verlust von Freiheit, Demokratie und Ordnung. Von atomarer Bedrohung als einen der Höhepunkte realen menschlichen Wahnsinns. Angst vor dem unbekannten Bösen, das sich in feindseligen Alieninvasionen manifestiert. Vor dem bekannten Bösen, durch unsere Mitmenschen und unsere Systeme, dass sich in der Übermacht von absolutistischen Staatsapparaten zeigt.
In den folgenden Filmen und Büchern finden sich verschiedene Zukunftsvisionen, bei denen es sich lohnt, etwas genauer hinzusehen.
Ein Traum der Menschheit geht in Erfüllung: Endlich Kontakt zu intelligentem, außerirdischem Leben! Das gigantische Raumschiff, dass in Erdnähe auftaucht, greift nicht an. Sie kommen in friedlicher Absicht. Doch leider bringen sie uns nicht die erhoffte Weisheit und fortschriftliche Technologie, um unsere Probleme auf der Erde zu lösen. Im Gegenteil: Sie haben eigene Probleme – und erhoffen sich Hilfe von uns. Dazu sind es ziemlich viele. Wie viele kommen da denn eigentlich noch? Das läuft doch wohl nicht auf unkontrollierte Zuwanderung hinaus, oder? Deren Kultur passt doch auch überhaupt nicht zu uns. Am Ende noch fremd auf dem eigenen Planeten? Nein danke!
Aber wir sind ja keine Unmenschen. Schnell ist ein gigantisches Auffanglager gebaut. Eingezäunt, versteht sich. Für die Gäste etabliert sich schnell der Name Shrimps, da sie halt so aussehen. Abwertend? Aber wir meinen es doch nicht so! Die Lebensbedingungen im Auffanglager sind fürchterlich. Es entsteht Kriminalität. Haben wir es doch gewusst: alles Verbrecher!
In District 9 werden die gängigen Gut-und-Böse-Szenarien der Alien-Filme auf den Kopf gestellt. Wir müssen uns nicht gegen einen überlegenen Gegner verteidigen. Wir lassen die Besucher*innen unsere „Willkommenskultur“ spüren. Kommt das jemandem bekannt vor? Und überhaupt: Welches der beiden Szenarien ist jetzt eigentlich das gruseligere?
Das Buch von 1979 beginnt damit, dass die Erde zerstört wird. Die außerirdischen Vogonen lassen sie aus gutem Grund sprengen: Sie muss dem Bau einer neuen Hyperraum-Expressroute weichen. Das mag auf den ersten Blick übertrieben klingen, aber man sollte nur mal bedenken, wie effektiv und praktisch so eine Route sein wird!
Wenn man nun nach irdischen Beispielen sucht, die Douglas Adams als Vorlage für die Vogonen gedient haben könnten, weiß man gar nicht, was man zuerst nennen soll. Effizienz gegen die Lebensgrundlage anderer aufzuwiegen ist ein Prinzip, das vermutlich so alt ist wie der moderne Mensch selbst. Adams mag an Autobahnen, die durch Naturschutzgebiete gebaut werden, gedacht haben. Wir denken beim Lesen dieses Science Fiction-Klassikers vermutlich an Lützerath oder an eine Weltgemeinschaft, die anscheinend zu dem Schluss kommt, dass sich eine Rettung der Erde vor dem Klimawandel finanziell einfach keinen Sinn ergibt.
Die Anzahl der Zombiefilme und -serien, die alle ähnlich ablaufen, ist unglaublich. Warum begeistert die Zuschauenden gerade dieses Endzeit-Szenario immer wieder? Vielleicht sind es ganz einfach Ur-Ängste der Menschheit, die hier angetriggert werden. Was wären wir eigentlich ohne den Schutz der Zivilisation? Was, wenn uns eine Katastrophe gefühlt zurück in die Anfänge der Menschheit versetzt. Zurück dahin, wo wir herkommen: aus der Wildnis. Mit dem Zombie wird das Raubtier plötzlich wieder zur alltäglichen Gefahr und wir zur Beute. Nahrungssuche wird auch für uns wieder zum Tagesinhalt, medizinische Versorgung zur Utopie. Nicht durch Zufall kommt fast jede*r Autor*in beim Schreiben des Drehbuchs zum selben Schluss: Die größte Gefahr nach der Apokalypse ist der Mensch. Das Überleben der Hauptfiguren umringt von Untoten scheint möglich. Doch der Kampf um die letzten Ressourcen gegen die Mitmenschen, die der Überlebenskampf ebenfalls zu Raubtieren macht, ist die größere Bedrohung. Mit der Zivilisation ist auch der Schutz durch das Recht untergangen, der Schutz vor uns selbst. Und den Zuschauenden stellt sich unweigerlich die Frage: Wie weit würde ich eigentlich gehen, um zu überleben?
Im Jahr 1984 hat ein totalitäres Regime ganze Kontinente erobert und einen allmächtigen Überwachungsstaat etabliert. „Big Brother is watching you!“
George Orwell hat seinen weltbekannten, dystopischen Roman um 1948 verfasst. Für das Jahr, in dem er spielt, hat er die Ziffern einfach verdreht. Orwell schrieb also zu einer Zeit, in der er und der Rest der Welt noch unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Bedrohung stand. Gut möglich, dass die Leitfragen des Romans für ihn ein Weg der Verarbeitung der Geschehnisse bedeuteten. Was, wenn es am Ende nicht gelungen wäre, dem Wahnsinn von außen Grenzen zu setzen? Wenn die Faschisten die Möglichkeit bekommen hätten, ihr System zu perfektionieren und dauerhaft zu etablieren?
Im Angesicht der Geschehnisse erscheint uns die Frage, ob es noch schlimmer hätte kommen können, heute nahezu geschmacklos. Aber in den Kriegsjahren haben sich viele Menschen genau diese Frage täglich gestellt. Vielleicht musste die größte denkbare Katastrophe als Teil des Verarbeitungsprozesses einmal bis zum Ende durchgespielt werden. Viele kennen es: Wenn uns schlimme Dinge passieren, hilft uns die Frage, wie viel schlimmer es hätte kommen können, um durchzuatmen und weiterzumachen.
Die Angst vor der Unüberschaubarkeit des technischen Fortschritts begleitet uns spätestens seit der industriellen Revolution. In der Digitalisierung findet sie einen brandaktuellen Höhepunkt. Kern dieser Angst ist die Vorstellung, durch das, was wir selbst erschaffen haben, ersetzt zu werden. Die Terminator-Filme schaffen eine Vision, in der dies im Wortsinn geschieht. Die Technik nimmt nicht nur unseren Platz in der Arbeitswelt, sondern auch in der physischen Welt ein. Sie braucht uns nicht mehr und entsorgt uns – mit Waffengewalt.
Im Film bekommt die Menschheit eine zweite Chance. Allerdings nur durch für uns unmögliche Zeitreisen. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass wir unsere erste Chance ergreifen sollten.
Verschwenderischer Umgang mit Ressourcen, Umweltverschmutzung, Klimawandel… Im Jahr 2022 haben wir es endlich geschafft. Unser Lebensstil hat die natürlichen Versorgungsgrundlagen praktisch aufgebraucht. Die Menschheit lebt ohne sauberes Wasser, feste Nahrung und ausreichend Wohnraum. Bis auf einige Superreiche. Wer sich die horrenden Preise leisten kann, lebt weiterhin sehr angenehm inmitten der Katastrophe, während das einfache Volk den Preis für die Untaten der Menschheit zahlt. Das entscheidende Lebensmittelprodukt ist dabei das neu entwickelte Soylent Green, nahrhaft und köstlich. Wer es sich leisten kann, muss sich keine Sorgen um seine Ernährung machen. Doch die Produktion der grünen „Götterspeise“ birgt ein gruseliges Geheimnis. Die letzte Szene des Klassikers hat Kultstatus: Die Hauptfigur wird schwerverletzt abtransportiert und schreit den umherstehenden Menschen ihre Entdeckung zu: „Soylent Green is people!!!“
Der Kultfilm von 1973 ist eine bitterböse Allegorie auf den Kapitalismus. Die Reichen fressen die Armen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Zudem hat der Film schon vor 50 Jahren eine Verbindung zwischen den zerstörerischen Aspekten des Kapitalismus und einer ökologischen Weltkatastrophe gezogen. Vermutlich nicht durch Zufall: Nur ein Jahr vor dem Film veröffentlichte der Club of Rome den Bericht „Die Grenzen des Wachstums“, der die erste deutliche Warnung an die Menschheit darstellte, wohin ein „Weiter so“ führen werde.
Ein irdische Weltallexpedition verirrt sich in der Raumzeit und landet auf einem Planeten, auf dem intelligente Affen das Sagen haben und unterentwickelte Menschen dem Tierreich zugeordnet werden.
Der ultimative Perspektivwechsel. Tier und Mensch tauschen Positionen. Doch das Tier wird nicht gutmütig und milde, sondern übernimmt selbst das Wesen des Menschen. Macht dieselben Fehler, unterdrückt die „untergeordnete“ Tierwelt. Bedeutet Menschsein immer Schwachsein?
1968 lagen Massentierhaltung (zumindest in der heutigen Form) und vegane Salami noch in weiter Ferne. Und doch schien schon damals viele die Frage zu quälen, ob unsere Grundhaltung gegenüber den Tieren nicht ethisch bedenklich ist. Fragen der Moral werfen oft Ängste auf. Eigenes moralisches Versagen können wir schwer ertragen. Und dabei ist richtig und falsch oft so schwer auseinanderzuhalten. Wenn wir wirklich das Recht haben, uns über Tiere zu erheben, warum fühlt es sich dann manchmal doch nicht richtig an? Warum tut der Perspektivwechsel in diesem Film so weh? Der Planet der Affen zwingt uns gleichzeitig Opfer- und Täterrolle auf. Das kann uns nur guttun.
Wenn wir unsere berechtigten Ängste der Gegenwart als Maßstab für die Zukunft nehmen, sieht es düster aus. Aber auch unser Hier und Jetzt besteht ja nicht nur aus Angst, sondern auch aus Hoffnung. Diese bietet vielleicht nicht grundsätzlich das gleiche Unterhaltungspotential, doch lässt sich mit etwas Fantasie und Optimismus auch hieraus etwas machen. Nun gut, dass wir hier auf der Erde friedlich und versöhnlich zusammenarbeiten – wir wollen mal nicht übertreiben, aber vielleicht schaffen wir es ja im fernen Weltall. In den 1960ern hat Star Trek diesen Versuch gewagt – und das mit riesigem Erfolg. Das Publikum belohnt offensichtlich die gewagte Portion Optimismus in der Haltung der Autor*innen:
„Frauen gehören nicht ins Weltall? Amerikaner und Russen leben in sinnloser Feindschaft? Kommt schon, Leute. Dieser Quatsch wird doch nicht ewig so weitergehen…“ Schon die frühen Star Trek-Staffeln schreiben ein wohlwollendes Bild der Zukunfts-Menschheit. Die Erde ist in gutem Zustand, die irdischen Völker arbeiten zusammen, neue Spezies werden gleichberechtigt integriert. Von der Erde gehen keine Kriege aus, unvermeidbare Konflikte werden verantwortungsvoll geführt. Später entsteht mit der Föderation eine friedliche, interstellare Gemeinschaft und Frauen erreichen ein Maß an Gleichberechtigung, von dem wir noch heute träumen.
In Star Trek nutzt die Menschheit endlich ihr Potential. Sie will sich einfach nur friedlich weiterentwickeln. Hoffnung und aufrichtiges Interesse an der Welt siegen über Angst und Gier. Vielleicht gehört es zum Erfolgsrezept, dass Kirk, Picard und Janeway uns das Gefühl geben, dass unser zu erwartendes, tragisches Ende nicht in Stein geißelt ist. Es gibt vielleicht noch Hoffnung.
Spannend wäre es zu wissen, wie sich die Horror-Visionen aus Film und Literatur auf unser Vertrauen in die Welt auswirken. Verstärken sie unsere Ängste? Und wenn ja, führt dies zu mehr Resignation oder macht es uns wachsamer im Umgang mit Themen wie dem technischen Fortschritt, den Folgen des Kapitalismus und dem Aufkeimen von faschistoiden Ideologien? In jedem Fall wird uns allen ein bisschen mehr Star Trek guttun. Und nicht vergessen: Heute fliegen Frauen tatsächlich ins Weltall und Amerikaner*innen und Russ*innen arbeiten auf der ISS zusammen.