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DPSGler*innen beim Hilfseinsatz in Polen

09.06.2022  |  Aus dem DV

Die Hilfsbereitschaft für ukrainische Geflüchtete ist in Polen riesengroß. Aus vielen anderen Ländern zieht es Menschen in das Nachbarland der Ukraine, um sich an der Hilfe zu beteiligen. Darunter auch viele Pfadfinder*innen. Jakob Kuhn und Henrike von Bobart haben sich aus unserem Diözesanverband auf den Weg gemacht und berichten uns nun von ihren Erfahrungen beim Hilfseinsatz. Vielen Dank!  

Hilfseinsatz in Polen

Es ist Sonntag, 8:00 Uhr morgens – der Wecker klingelt. Viel zu früh eigentlich nach einem Abend wie gestern. Da haben wir (Jakob und Henni) nämlich die anderen Pfadfinder*innen kennengelernt, die heute mit uns nach Polen fahren. Dort wollen wir gemeinsam mit dem polnischen Pfadfinder*innenverband ZHP ukrainischen Geflüchteten unterstützen. Jetzt heißt es erstmal den Rucksack packen und zum Bahnhof zu kommen, denn gleich geht es los mit dem Zug nach Polen. Jakob wird mit seiner Gruppe in Kraków bleiben, während Henni mit sieben anderen Pfadfinder*innen weiter nach Przemyśl an die ukrainische Grenze fährt.  

Jakob – Kraków

Wir sind die erste Gruppe deutscher Pfadfinder*innen die nach Kraków fährt und werden dort bereits am Bahnsteig erwartet. Direkt bekommen wir eine erste Führung durch die „Stadt in der Stadt“, die inzwischen am Bahnhof entstanden ist und von den Pfadfinder*innen gemeinsam mit UNICEF unterhalten wird. Zum einen gibt es dort die Essensausgabe an Gleis drei, die in einem leerstehenden Ladenlokal untergebracht ist. Hier werden wir den Großteil der kommenden fünf Tage verbringen. Zum Anderen gibt eine Übernachtungsmöglichkeit für ukrainische Geflüchtete die von Pfadfinder*innen aus der Ukraine betreut wird. Rund um den Bahnhof gibt es aber noch mehr: eine Kinderbetreuung in einem Bürokomplex, und in drei großen Zelten sind noch eine Suppenküche, eine Kleiderkammer und eine weitere Schlafmöglichkeit untergebracht. Außerdem ist auch der ZHP – ein zweiter polnischer Pfadfinder*innenverband – mit einer Essensausgabe präsent. Das bunte Treiben wird dabei geregelt von unzähligen Helfer*innen in gelben Warnwesten und Pfadfinder*innen in ihren Kluften. Der Eindruck der schier unbändigen Hilfsbereitschaft der polnischen Bevölkerung wird uns auch in den kommenden Tagen immer wieder begegnen.

Nach dem ersten Rundgang erfahren wir unsere Aufgaben: wir werden täglich in zwei Schichten von 8:00 Uhr – 22:00 Uhr die Essensausgabe unterstützen. Nach fast 12 Stunden im Zug suchen wir uns erstmal unsere Unterkunft, zu der wir circa 20 Minuten mit dem Zug brauchen. Auch hier werden wir herzlich von ukrainischen Geflüchteten empfangen, weil der ZHP Bezirk Kraków hat dem Haus nämlich sieben Geflüchtete untergebracht hat. Darunter ist auch ein siebzehnjähriger Pfadfinder aus Kyiv, mit dem wir in den kommenden Tagen noch viele Geschichten austauschen werden.

Montags übernehme ich die Spätschicht. Zu dritt schmieren und belegen wir dutzende Brote und kommen dennoch nicht hinterher. Irgendwann sind unsere Vorräte aufgebraucht und wir machen uns mit Rollwägen auf den Weg zum Kühlcontainer, um weitere Hilfsgüter zu holen. Den Wagen, der nach vier Wochen Dauereinsatz bereits etwas gelitten hat, werden wir morgen vor der Frühschicht noch reparieren – folglich steht um 6:30 Uhr erstmal ein Besuch im Baumarkt an. Die Arbeit in der Station ist in der Woche geprägt vom Brote belegen, Hilfsgüter sortieren, Kaffee kochen und immer wieder die Auslage auffüllen. Da die eigentliche Ausgabe der Hilfsgüter von Ukrainer*innen und Pol*innen übernommen wird, haben wir nur wenig Kontakt zu Geflüchteten, dafür knüpfen wir Freundschaften mit den Helfenden in der Station. Pausen haben wir in den sieben Stunden quasi nicht, wir unterbrechen uns nur regelmäßig gegenseitig, um uns an Essen und Trinken zu erinnern. Donnerstag nachmittags ist plötzlich der Andrang weniger stark und ich gehe gemeinsam mit einem anderen DPSGler zur Kleiderkammer, denn auch dort ist immer Hilfe gefragt. Hier haben die Geflüchteten exakt elf Minuten Zeit, um dringend benötigte Kleidung zu finden – Ordnung ist hier also oberste Priorität. Nach den Schichten werden wir häufiger noch um Hilfe gebeten um das passende Gleis zu finden oder um Taschen zu tragen.  

Henni - Przemyśl

Um 23 Uhr kommen wir in Przemyśl an - mit zwei Stunden Verspätung. Es herrscht heilloses Chaos, jede Menge Menschen überall. Wir sehen erstmal zu, dass wir nicht im Weg stehen und damit wir Zeit haben, uns zu orientieren. Viele Infos gibt es nicht, den Ort der Unterkunft, die Turnhalle einer Schule, kennen wir - zehn Minuten Fußweg vom Bahnhof entfernt. Dort werden wir von einem polnischen Pfadfinder („You can just call me Jack“) empfangen, der uns mitteilt, welche Schichten wir in der kommenden Woche arbeiten werden: drei von uns arbeiten in der Tagschicht (09:00 - 21:00 Uhr) in Przemyśl am Bahnhof, drei weitere in der Nachtschicht (21:00 - 09:00 Uhr) und zwei in der Nachtschicht in Medyka, direkt an der Grenze.

Zusammen mit Paul und Jana aus Ludwigshafen teile ich mich für die Nachtschicht am Bahnhof ein. Der Bahnhof in Przemyśl ist der erste polnische Bahnhof hinter der ukrainischen Grenze, also Anlaufstelle für alle Geflüchteten, die mit dem Zug unterwegs sind. Und dieser Bahnhof besteht quasi nur aus Treppen. Vom Gleis runter (per Treppe), durch einen Tunnel und wieder hinauf zum Bahnhofsgebäude. Das Ganze mit haufenweise Gepäck – im Zweifelsfall einem ganzen Leben, eingepackt in Koffer, Rucksäcke und Taschen. Unsere Aufgabe ist es, den Menschen zu helfen, ihr Gepäck, die Kinderwagen und alles weitere von A nach B zu bringen, in den Zug zu heben oder auch einfach mal „nur“ auf die Kinder aufzupassen, während Eltern am Ticketschalter anstehen.

Besonderes anstrengend ist die Zeit zwischen 21:00 Uhr und 00:00 Uhr. Da kommen nämlich die meisten Fernzüge an, aus Warschau, Wrocław und Berlin. Es fahren aber so spät keine Züge mehr ab, das heißt, dass alle die Nacht im Bahnhof verbringen müssen. Dort gibt es einen Raum voller Feldbetten, für Mütter mit kleinen Kindern - aber der ist um diese Zeit so gut wie immer schon voll. Einen Aufenthaltsraum mit Sitzgelegenheiten, ebenfalls voll. Darum stehen auch im Bahnhof selbst noch jede Menge Bierbänke. Auch die reichen nicht, deswegen sitzen, stehen und liegen die Menschen einfach überall. Zwischen 00:00 Uhr und 03:00 Uhr ging es für uns dann meistens darum, den Geflüchteten ihre weiteren Möglichkeiten aufzuzeigen. Gar nicht so einfach, denn kaum ein Mensch sprach Englisch. Auch Deutsch und Italienisch haben mir da nicht weitergeholfen. Manchmal hatten wir nachts Pech und es waren keine Dolmetscher da. Mit Händen, Füßen, Google Übersetzer, und meinen fünf Wörtern Ukrainisch/Polnisch/Russisch, die ich mittlerweile kann, ging es dann aber trotzdem meistens irgendwie.

Ab 03:00 Uhr hieß es dann: Alle Menschen mit Gepäck wieder zum richtigen Zug aufs Gleis bringen. Meistens zu Gleis drei, wo Züge nach Warschau, Wrocław oder Berlin, fahren, oder zu Gleis fünf. Manchmal auch zur Grenzkontrolle vor Gleis fünf. Denn von dort fahren Züge wieder zurück in die Ukraine. Wir durften nicht weiter als zur Grenzkontrolle, denn das Gleis selber ist ukrainisches Staatsgebiet. Kaum da angekommen, gibt es für uns schon wieder genügend zu tun: der Zug aus Kyiv ist angekommen und die Geflüchteten müssen zum Bahnhof gebracht werden, für kostenloses Essen, Wasser, Toiletten und Informationen, wie es weitergeht.  

Die ganze Woche, jeden Tag, bin ich zwischen 21:00 Uhr und 09:00 Uhr mindestens zwanzig Kilometer gelaufen. Wenn mich heute jemand fragt, wie es in Polen war, lautet meine erste Antwort: anstrengend. Aber es hat sich auch absolut gelohnt. Wenn ich zurückdenke, erinnere ich mich vor allem an die Menschen, die ich dort kennen lernen durfte: Jana und Paul natürlich, einen Amerikaner, der jede Nacht mit uns dort war und immer Knicklicht-Armbänder an Kinder verteilt hat, einen Engländer, der mittlerweile seinen Job aufgegeben hat, um weiter in Polen helfen zu können. Und natürlich die Geflüchteten, zum Beispiel eine ältere Dame, die mir in den Armen lag, nachdem ich ihre (zugegebenermaßen sehr, sehr schwere!) Tasche getragen habe oder der kleine Junge, mit dem ich eineinhalb Stunden lang gespielt habe, weil seine Eltern zu müde waren.

Die Dankbarkeit der Menschen für jede Art von Hilfe ist mir deutlich im Gedächtnis geblieben. Selbst wenn die Menschen verstanden haben, dass ich sie nicht verstehe, wurden mir ganze Geschichten auf Ukrainisch erzählt. Es ging nur darum, nicht alleine zu sein. Jemanden zu haben, der zuhört und vielleicht die schwere Tasche trägt.  

Dringend weitere Helfende gesucht!

Wir möchten hier noch einmal auf die Notwendigkeit und Dringlichkeit unserer Hilfe dort hinweisen. Der polnische Verband hat nicht ohne Grund nach Hilfe gefragt: Fast alle polnischen Pfadfinder*innen haben mittlerweile selber schon geholfen, ihnen geht also die Zeit und die Kraft aus. Für uns beide war der Einsatz ein großes Abenteuer, das wir nie vergessen werden. Wir hatten die Chance zu Helfen und ganz nebenbei eine neue Stadt und neue Menschen kennen zu lernen und jede Menge Erfahrungen zu sammeln. Der rdp sucht aktuell noch händeringend Unterstützung für die kommenden Wochen für einen solchen Hilfseinsatz. Wenn ihr also eine Woche Zeit habt und Lust habt, aktiv zu werden, findet ihr hier mehr Infos: https://dpsg.de/de/gefluechtetenhilfe-polen     

Die Autor*innen

Henni

Hey, ich bin Henni, 24 Jahre alt und vielleicht kennt der*die ein oder andere mich aus dem Pfadi-DAK. Vom 14. - 21. Mai war ich mit sieben anderen Pfadfinder*innen in Przemysl an der polnisch-ukrainischen Grenze. Wenn ihr mehr erfahren wollt oder Fragen habt, meldet euch gerne einfach per Mail: henrike.vonBobart(at)dpsg-muenster.de .  

Jakob

Moin, ich bin Jakob, 24 Jahre alt und bin Bezirksvorsitzender in Warendorf. Vom 7. – 14. Mai war ich mit gemeinsam mit fünf DPSGler*innen und einem BdPler in Kraków. Wenn ihr Fragen zum Einsatz habt oder schlicht mehr erfahren wollt, meldet euch gerne bei mir unter jakob.kuhn(at)dpsg-muenster.de .

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